Wenn Nervenzellen sich verändern und das Gehirn nicht mehr so funktioniert wie es sollte, ist es oft schwierig, Halt zu finden. Für Betroffene von demenziellen Erkrankungen, sowie ihre Angehörigen. Doch Musik – mit ihren vertrauten Melodien, harmonischen Klängen und aktivierenden Rhythmen – kann Halt geben. Auch bei fortgeschrittener Demenz.
Anlässlich einer CD-Präsentation für Menschen, die mit Demenz leben, haben wir mit Primar Josef Marksteiner, Abteilungsvorstand der Psychiatrie und Psychotherapie A am LKH Hall, über Demenz gesprochen. Und darüber, welchen Stellenwert Musik in der Begleitung von Demenz-PatientInnen haben kann.
Was ist Demenz eigentlich?
Demenz ist der übergeordnete Begriff für eine Vielzahl von neurodegenerativen Erkrankungen – also Erkrankungen, die zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen des Gehirns führen. Es gibt über 100 verschiedene Ursachen für demenzielle Erkrankungen. Rund 80% unterschiedlicher Demenzarten lassen sich fünf Haupt-Diagnosen zuordnen. Die weltweit häufigste davon ist die Alzheimer-Krankheit mit einem Aufkommen von zumindest 50% aller Demenzerkrankungen. Daher werden die Begriffe „Alzheimer“ und „Demenz“ fälschlicherweise oft synonym verwendet.
Wie kann man sich den Verlauf einer Demenz-Erkrankung vorstellen?
Demenzielle Erkrankungen sind chronisch fortschreitend, also aus aktueller Sicht nicht aufzuhalten und nicht heilbar. Der Krankheitsverlauf ist unterschiedlich und abhängig vom Zusammenwirken vieler Faktoren. Ob eine Demenzerkrankung vorliegt kann heute sehr gut untersucht und diagnostiziert werden. Auch die Art und der Schweregrad der Krankheit können gut bestimmt werden. Der Schweregrad der Erkrankung wird in leichte, mittlere und schwere Stadien eingeteilt. Für die Stadien gibt es charakteristische Symptome. Die Krankheitsdauer ist sehr variabel und variiert zwischen 3 und 14 Jahren ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung.
Welche Symptome treten auf?
Abhängig davon, welche demenzielle Erkrankung vorliegt, variiert auch das Krankheitsbild. Während an Alzheimer erkrankte PatientInnen besonders kognitive Defizite wie z.B. Gedächtnisverlust und Wortfindungsstörungen aufweisen, kann es in anderen Fällen auch zu Persönlichkeitsveränderungen wie zum Beispiel Enthemmung, Verlust von Spontanität, schwindende Zuverlässigkeit, der Entwicklung vollkommen neuer Essgewohnheiten oder depressiven Verstimmungen kommen. Auch Bewegungsstörungen können auftreten – wie man sie u.a. von der Parkinson-Krankheit kennt.
Welche Herausforderungen treffen PatientInnen und Angehörige?
Eine der ersten Fragen, die sich PatientInnen und Angehörige nach der Diagnose stellen lautet meist: ist ein selbstbestimmtes Leben weiter möglich? Und wenn ja, wie und wie lange? Abhängig davon gilt es Anpassungen vorzunehmen und Entscheidungen zu treffen. Eine sichere Umgebung (Wohnraum gestalten, Gefahrenquellen minimieren, Betreuung sicherstellen, etc.) und gleichzeitig ein persönliches und vertrautes Umfeld zu halten, ist nicht immer einfach. Vor allem im mittleren Erkrankungsstadium stellt der steigende Bewegungs- und Wanderdrang demenziell Erkrankter ihre Bezugspersonen vor vielfältige Herausforderungen. Daher ist es für Angehörige und begleitende Personen besonders wichtig, sich professionell beraten zu lassen und Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Demenz ist aus aktueller Sicht nicht heilbar. Man kann den Krankheitsverlauf durch eine symptomatische Therapie wirksam behandeln – also einen positiven Einfluss darauf nehmen, indem man auftretende Symptome behandelt – und die Lebensqualität verbessern. Dazu stehen medikamentöse wie nichtmedikamentöse Möglichkeiten zur Wahl.
- Die medikamentöse Behandlung findet u.a. durch sogenannte Antidementiva statt, welche kognitive Fähigkeiten wie z.B. die Gedächtnisfunktion oder Konzentrationsfähigkeiten verbessern können. Doch bei Antidementiva gilt: sie helfen nur, solange man sie nimmt. Bricht man die Behandlung ab, hört die Wirkung der Medikamente ebenso auf.
- Zur nichtmedikamentösen Behandlung zählen verschiedene Therapieformen wie Ergotherapie, Logopädie, Gedächtnistraining, Milieutherapie oder Musiktherapie. Eine verbreitete Technik zur Begleitung von Demenz-PatientInnen ist die sogenannte „Validation“ nach Naomi Feil. Geht das Kurzzeitgedächtnis langsam verloren, rücken bei demenziell Erkrankten häufig Langzeit-Erinnerungen in den Vordergrund – so kann es beispielsweise sein, dass 80-Jährige glauben, ihre Kinder von der Schule abholen zu müssen. Begegnet man den PatientInnen in diesen Phasen besonders wertschätzend, respektiert deren Vorstellungen und lässt sich auf die Situation ein anstatt sie mit rationalen Argumenten zu korrigieren, spricht man von Validation.
Musik als Ressource bei Demenz
Die meisten von uns kennen es aus eigener Erfahrung: Musik verbessert den Moment. Sie beruhigt, sie aktiviert, sie motiviert. Sie weckt Erinnerungen und steigert das persönliche Wohlbefinden just in diesem Moment. Und deshalb ist Musik auch in der Begleitung von Menschen mit demenziellen Erkrankungen eine wichtige Ressource. Denn was Musik bei nicht erkrankten Menschen auslöst, kann sie auch bei Erkrankten auslösen – von der kognitiven zur emotionalen bis hin zur physischen Aktivierung ist alles möglich. Musik ist eine eigene Wahrnehmungsebene, weshalb es auch schwierig ist, ihre Wirkungsweise auf Demenz-PatientInnen wissenschaftlich evidenzbasiert zu belegen. Doch das ist auch gar nicht immer notwendig – verbessert Musik den Moment, verbessert sie die Lebensqualität der PatientInnen und somit auch die der begleitenden Angehörigen. Und darauf kommt es an.
Aktivierung durch Rhythmus
Die Aktivierung demenziell Erkrankter findet über den Rhythmus statt. Primar Marksteiner berichtet aus eigener Erfahrung von PatientInnen, die nicht mehr sprechen, aber bei bestimmten Liedern plötzlich den Takt vorgeben. Ob dabei Rock-, Pop-, Schlager- oder Gospel-Rhythmen besonders geeignet sind, lässt sich so nicht sagen. Es ist aber davon auszugehen, dass jene Rhythmen, die einen früher schon angesprochen haben, am besten geeignet sind. Eher unwahrscheinlich sei es hingegen, dass jahrzehntelange Klassik-Fans plötzlich zu Metall-HörerInnen werden. Ein Bespiel der physischen Aktivierung durch Musik sind Tanzschritte. Hin und wieder rückt die richtige Musik alt bekannte Bewegungsfolgen wieder ins Gedächtnis der Demenz-PatientInnen. Diese „Kognitive Reserve“, also Altbekanntes, das im Verborgenen liegt und wieder ans Tageslicht gerückt wird, kann durch Musik angezapft werden.
Singen – ein Leben lang: CD für Menschen mit Demenz
Das siebenköpfige Vokalensemble HEIM@Klang singt regelmäßig für ältere Menschen. In Kooperation mit den tirol kliniken wurde die CD „Singen – ein Leben lang“ produziert, mit 38 verschiedenen Liedern speziell für demenziell erkrankte Personen. Darauf finden sich bekannte Volks- und Heimatlieder, Schlager, sowie Filmmusik und religiöse Spirituals. Ein zugehöriges Liederbuch wurde eigens illustriert.
Mehr als 250 Vorbestellungen bestätigen: das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist für Angehörige und begleitende Fachkräfte von besonderem Stellenwert. Die Doppel-CD „Singen – ein Leben lang“ ist ab jetzt im Online-Shop des Tiroler Tonstudios Aktiv Sound Records ASR oder im Fachhandel erhältlich. Die Kosten für die Doppel-CD betragen 30 Euro.