Durch den menschlichen Körper fließen circa 4,5 bis 6 Liter Blut. Das ist soweit noch keine Neuigkeit und sollte den meisten bereits durch den Biologie-Unterricht in der Schule bekannt sein. Irgendwann, haben die Menschen auch den Zusammenhang hergestellt, dass zu viel Blutverlust zum Tod führt. Wer fleißig US-amerikanische Krimiserien schaut, der kennt die typischen Ermittler-Diagnosen: „Der Schlag auf den Hinterkopf war nicht die Todesursache. Er hat zu viel Blut verloren.“
Ohne Blut geht also nichts mehr. Und aus eben diesem Grund sind Blutspenden so enorm wichtig. Wenn ein Mensch beispielsweise bei einem Unfall zu viel Blut verliert oder wenn jemand operiert wird, dann braucht es frisches Blut. Da Blut aber niemand künstlich herstellen kann, muss es jemand spenden. Soweit, so klar. Doch wieso dürfen Tiroler, die sich zwischen Juli und Ende Oktober in Wien aufgehalten haben, zumindest eine Zeit lang kein Blut spenden? Und was hat ein sogenannter West-Nil-Virus mit all dem zu tun?
Erregend: Viren, Bakterien & Co
Bevor wir diese Frage schlüssig beantworten können, müssen wir von vorne anfangen: Alles beginnt mit dem Wort Pathogenität. Das klingt irgendwie nach einer Superkraft. Ist es auch. Aber keine, die man zur Verbrecherjagd einsetzen könnte, zumindest nicht direkt. Pathogenität ist die grundsätzliche Fähigkeit von Organismen einen bestimmten Organismus krank zu machen. Die Organismen mit dieser Fähigkeit nennt man bei uns auch Krankheitserreger. Diese Krankheitserreger sind Lebewesen oder subzelluläre Erreger (biologische Systeme, die sich ohne eigenes zelluläres System und genetisch autonom vermehren können), die in anderen Organismen gesundheitsschädigende Abläufe auslösen können. Dies können Viren, Bakterien, Protozoen, aber auch Würmer oder Pilze sein.
Fast ein jeder kann sich heute noch an zwei der bekanntesten Krankheitserreger der jüngeren Vergangenheit erinnern. H1N1 und H5N1. Anders gesagt: Schweinegrippe und Vogelgrippe. Die unter dem Namen Schweinegrippe bekannte Erkrankung breitete sich im Jahr 2009 von Mexiko ausgehend, über die USA, in die ganze Welt aus. Im Oktober 2009 waren der WHO weltweit 440.000 Infektionen mit dem H1N1-2009-Virus gemeldet worden. Davon verliefen mindestens 5.700 tödlich. Zum damaligen Zeitraum gab es kaum eine Zeitung, kaum einen TV-Sender, der nicht über die sogenannte Schweingrippe und deren rasche Ausbreitung berichtete. Die enorme Aufmerksamkeit hatte auch einen historischen Grund: Ein anderer H1N1-Subtyp hatte 1919/1920 eine Influenza-Pandemie , besser bekannt unter dem Namen „Spanische Grippe“ ausgelöst, an der insgesamt fast 50 Millionen Menschen verstarben.
Doch wie passiert so etwas? Wie können solche „Krankheiten“ plötzlich auftauchen und sich über die ganze Welt verbreiten? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir noch folgenden Begriff klären:
Emerging disease
Emerging diseases sind nichts anderes als neue Infektionskrankheiten. Eine emerging disease kann aber auch eine Krankheit sein, die schon bekannt ist, aber in neue geographische Regionen vordringt, neue Populationen befällt oder schon einmal ausgerottet wurde, aber jetzt wieder auftritt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einerseits durch Mutationen der Erreger, durch das Aufspringen auf neue Wirte (wie bei der Vogelgrippe, von Geflügel auf den Menschen) oder durch sich verändernde Ökosysteme, wie beispielsweise bei der Verbreitung des Rifttalfiebers in Ägypten, welches durch Moskitos übertragen wurde. Durch einen Dammbau wurde deren Lebensraum und dadurch auch die Verbreitung des Rifttalfiebers erweitert.
Zika-Virus und West-Nil-Virus
Moskitos und Stechmücken generell, sind sehr häufig Überträger von Krankheitserregern. Warum? Sie können Erreger von Mensch zu Mensch und von Ort zu Ort übertragen. Durch die sich verändernden klimatischen Gegebenheiten, durch die vielen Personen- und Warentransporte quer über den Planeten, breiten sich die Lebensräume vieler Lebewesen deutlich aus. So wurden zum Beispiel 99% aller Malaria-Fälle in Europa direkt durch (Flug)Reisen verursacht. Ähnlich verhält es sich beim derzeit sehr bekannten Zika-Virus. Reisen in bekannte Zika-Virus-Ausbruchsgebiete sind laut Gesundheitsbehörden tunlichst zu vermeiden. Wer nicht darauf verzichten kann, sollte wenigstens auf konsequenten Mückenschutz achten. Auch der West-Nil-Virus, bekannt seit dem Jahr 1937 und laut mancher These auch der Grund für den Tod von Alexander dem Großen, wurde auf diese Weise verbreitet.
Und um zu unserem Ausgangsthema, der Blutspende zurückzukehren: Der Aufenthalt in Verbreitungsgebieten von bestimmten Krankheitserregern, führt zu einer temporären Sperre als Blutspender. Als Vorsichtsmaßnahme, um die größtmögliche Sicherheit der Blutspende-Empfänger zu gewährleisten. Und das Ausbreiten von Krankheitserregern in neue geographische Regionen betrifft auch Österreich.
…und so kam auch das West-Nil-Virus nach Wien
Und schon sind wir bei des Rätsels Lösung. Der Grund, wieso Tiroler (und auch andere Westösterreicher und Westeuropäer), die in Wien waren, für kurze Zeit kein Blut spenden sollten, hat etwas mit Stechmücken und deren Verbreitung zu tun. Der West-Nil-Virus gelangte über die Jahre, über Ostafrika, Nordafrika bis nach Osteuropa. 2004 wurde der Virus so beispielsweise in Ungarn und 2008 in Ost-Österreich nachgewiesen. 2014 und 2015 wurden dann in Wien die ersten mit West-Nil-Virus infizierten Blutspender entdeckt. In Wien gibt es also nachweislich Mücken, die diesen Erreger übertragen können, in Tirol nicht. Wer also für ein paar Tage in der Zeit zwischen Juli und Ende Oktober in der Hauptstadt weilt, muss erst einmal 28 Tage mit dem Blutspenden pausieren, bevor man mit Sicherheit ausschließen kann, dass kein Erreger im Blut zu finden ist. Ähnliches gilt übrigens auch für Reisen an den Gardasee…
Durch die Verbreitung von Erregern in neue Gebiete ist eine gute Reiseplanung also nicht nur bei Fernreisen sinnvoll. Wer im Sommer eine Reise tut, sei es auch nur eine „kleine“, sollte sich vorab ein wenig informieren, welche Mücken dort so durch die Lüfte fliegen.