„Gewitter im Gehirn“, „Kurzschluss“ oder „Lawine“ – drei gängige Metaphern für epileptische Anfälle. Wir haben mit Gerhard Luef, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie an der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie gesprochen. Der Leiter der Anfallsambulanz erläutert die wichtigsten Fragen zu Epilepsien, ihren Ausprägungsformen, Behandlungsmöglichkeiten sowie Prävention und dem Thema Kinderwunsch.
Was ist Epilepsie und welche Beschwerden treten auf?
Epilepsie ist eine der häufigsten, neurologischen Erkrankungen, die im Gehirn entstehen. Wird die elektrische Spannung, unter welcher Gehirnzellen stehen, unterbrochen, treten kurzschlussartig verschiedene neurologische Symptome auf. Epileptische Anfälle können sich dabei ganz unterschiedlich äußern – von bewusst wahrnehmbaren Beeinträchtigungen der Sinne (Hören, Riechen, Schmecken, Sehen, …), bis hin zu unbewusst stattfindenden Verhaltensauffälligkeiten wie zum Beispiel Schmatzen oder Gestikulieren. Zu den großen epileptischen Anfällen zählen Anfälle mit Verkrampfungen, Zuckungen und Bewusstseinsverlust.
Wie hoch ist das Risiko, an Epilepsie zu erkranken?
Fest steht: Jede und jeder kann Epilepsie bekommen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Lebenssituation oder Gesundheitszustand. Rund 10% aller Menschen erleben einmal im Leben einen epileptischen Anfall. Etwa 2-3 % entwickeln eine Epilepsie mit wiederkehrenden Anfallsgeschehen.
Gibt es Risikopatient:innen?
Während grundsätzlich jede Person von Epilepsien betroffen sein kann, gibt es auch Risikofaktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen können: Menschen mit einer angeborenen Beeinträchtigung der Hirnfunktionalität sind beispielsweise gefährdeter im Laufe ihres Lebens eine Epilepsie zu erleiden. Auch Menschen, die an Demenz erkrankt sind, leben mit einem höheren Risiko, da die demenzielle Veränderung des Gehirns auch epileptische Anfälle auslösen kann. Schlaganfallgeschehen, Hirntumore aber auch verhältnismäßig kleinere Verletzungen wie z.B.: eine Gehirnerschütterung können aufgrund der Zellschädigungen in weiterer Folge ein Risiko für epileptische Anfälle darstellen.
Wie wird Epilepsie diagnostiziert?
Tritt ein erster epileptischer Anfall auf, folgen verschiedene diagnostische Maßnahmen. Die wichtigste Abklärung erfolgt mittels EEG (Elektroenzephalographie), um die Hirnströme und etwaige Auffälligkeiten der elektrischen Spannung zu messen. Zusätzlich folgt die Bildgebung mittels MRT (Magnetresonanztomographie) und die klinische Untersuchung zur Feststellung von neurologischen Ausfällen. Eine labordiagnostische Untersuchung kann Auslöser wie Unterzucker oder einen Mangel im Salzhaushalt feststellen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Die medikamentöse Therapie ist vielversprechend: Rund 70 % können durch die richtige Diagnose und eine regelmäßige Medikamenteneinnahme anfallsfrei leben. Für rund 5 % der betroffenen Patient:innen kommen auch chirurgische Maßnahmen in Frage, um epileptogene Zonen im Hirn chirurgisch zu behandeln.
Gibt es Warnsignale für epileptische Anfälle und was ist zu tun?
Haben die Epilepsien eine Ursprungsregion im Gehirn, können Betroffene einen nahenden Anfall unter Umständen bereits vorab wahrnehmen – man spricht hier von einer sogenannten „Aura“, einem speziellen Gefühl als Frühwarnung. Tritt dies auf, können Betroffene unter Umständen noch rechtzeitig reagieren und beispielsweise mit dem Auto ausweichen und anhalten. Die Umgebung kann vor bzw. bei einem epileptischen Anfall oft unbewusste Automatismen wie Schmatzen, Gestikulieren oder einen starrenden Blick erkennen. Dann gilt es die Umgebung präventiv abzusichern und Sturzfallen oder naheliegende Gegenstände zu entfernen. Grundsätzlich wird empfohlen, Ruhe zu bewahren, nicht in Panik zu verfallen und im möglichst geschützten Rahmen zu warten, bis der Anfall vorbei ist.
Was können Betroffene präventiv tun?
Ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus hilft dem Gehirn, epileptischen Anfällen vorzubeugen. Ist dieser Rhythmus gestört, erhöht sich auch die Anfallsbereitschaft. Für Personen, die in Schicht- oder Nachtdiensten arbeiten, oder aus anderen Gründen aus dem Schlaf-Rhythmus kommen, gibt es bei guter medikamentöser Einstellung in der Regel aber keinen Grund zur Sorge. Den übermäßigen Konsum von Alkohol gilt es grundsätzlich zu vermeiden – denn fällt die dämpfende Wirkung des Alkohols wieder weg, ist das Gehirn erregter und die Anfallsbereitschaft steigt.
Epilepsie und Kinderwunsch: worauf ist zu achten?
An der Innsbrucker Klinik gibt es eine eigene Ambulanz für schwangere Frauen mit Epilepsie. Während der Schwangerschaft gilt es besonders auf die Medikamenteneinnahme zu achten – bestimmte Medikamente können zu Fehlbildungen führen oder können nicht während der Schwangerschaft abgesetzt werden. Das Gute ist, dass es ein großes Schwangerschafts-Register gibt, das auch neuere Medikamente enthält, die während einer Schwangerschaft unbedenklich eingenommen werden können.
Ist Epilepsie vererbbar?
Es gibt tatsächlich vererbbare Epilepsien – sogenannte klassische, genetische Epilepsien – die aber sehr, sehr selten auftreten. Wie bei allen Krankheiten, kann sich die Veranlagung zur Epilepsie im familiären, genetischen Programm befinden. Das würde bedeuten, dass Epilepsien zwar nicht direkt in der nächsten Generation auftreten, aber auch bei weiteren Generationen im Familienverband vorkommen können.
Leben mit Epilepsie: welche Aussichten haben Betroffene?
Nehmen Menschen, die Epilepsien haben, ihre Medikamente regelmäßig ein, besteht eine 70-75 prozentige Anfallsfreiheit mit der Chance auf ein nahezu uneingeschränktes Alltagsleben. Für bestimmte Sportarten wie z.B. Schwimmen oder Klettern, gilt jedoch Vorsicht: Erleidet man im Wasser oder am Berg einen epileptischen Anfall, ist man durch Ertrinkungsgefahr oder Sturzhöhe einem besonderen Risiko ausgesetzt. Gesetzliche Richtlinien gibt es beispielsweise im Straßenverkehr: Um einen PKW lenken zu dürfen, muss man laut Gesetzgeber 1 Jahr lang anfallsfrei sein.
Experteninterview zum Nachhören
Das ausführliche Expertengespräch mit Gerhard Luef steht auch als Video online zur Verfügung.