„Ja hallo, wie geht es dir?“ „Du sorry, i hab einen Stress, Danke der Nachfrage! Ciao.“ O du fröhliche, O du selige, Gnadenbringende Weihnachtszeit! Auf dem Papier ist es das. Doch leider sieht die Realität vor und zu Weihnachten bei vielen Familien anders aus. Die Zeit der Besinnlichkeit erzeugt Stress. Warum ist das so? Was können wir dagegen tun? Und hilft gemeinsames Kochen zu Weihnachten, den Alltag zu entschleunigen?
Was ist Stress?
„Und hast einen Stress?“ Diese Frage kommt oft noch vor: „Wie geht es dir?“ Dabei ist Stress per se nicht negativ. Es gibt zwei Arten von Stress. Der Eustress ist der gute Stress. Der Disstress ist sein negatives Pendant. Den Eustress brauche ich: vor einer Prüfung, vor einem Gespräch mit meinem Chef, vor einem Tennismatch. Er versetzt mich in eine Alarmbereitschaft, damit ich meine Leistung abliefere. Der Disstress belastet mich. Er entsteht einerseits durch äußere Auslöser, die ich nicht beeinflussen kann, wie beispielsweise ein beruflicher Abgabetermin; andererseits durch persönliche Stressauslöser, weil ich es allen Recht machen will und nie „Nein sagen“ kann.
Woher kommt Stress?
Mache ich mir meine Unruhe selber oder wird sie mir aufgezwungen? Der innere Stress ist eine Erwartung an mich, alles erfüllen zu müssen: Die Wohnung muss perfekt geputzt sein. Der Tisch muss perfekt gedeckt sein. Der Weihnachtsbaum muss perfekt geschmückt sein. Der Abend muss wunderschön sein. Der innere Stress ist zum Großteil hausgemacht. Dabei ist es einfach. Das „Müssen“ begrenzt mich selbst, indem ich mir keine Alternative gebe. Wenn ich „müssen“ durch „können“ ersetze, erweitere ich meinen Handlungsspielraum und setze mich nicht unter Druck.
Der permanente Stress kann krankmachen und meinen Körper schädigen. Das Cortison regelt nicht nur die Stressreaktion, sondern auch die Hormonausschüttung im Körper. Wenn ich Cortison permanent gleich ausschütte, dann kann sich mein Sexualhormon unterdrücken, was geringe Libido zur Folge hat. Bei Stress ändern sich meine Essgewohnheiten. Ich nehme Kalorien zu mir, in Form von schnell verfügbaren Kohlenhydraten und Fertigprodukten, ich koche mir kein gutes Essen, ich kann nicht mehr schlafen, ich komme nicht zur Ruhe. Daraus kann sich eine chronische Nervosität entwickeln.
Weihnachten als Zeit der Besinnung?
Weihnachten ist unter den Katholiken das hoch emotionale Fest der Familie, das in der Bedeutung noch vor Ostern liegt. Die gesamte Familie kommt zu Weihnachten zusammen. Alle verbringen auf engstem Raum viel Zeit miteinander. Es ist eine tagelange permanente Auseinandersetzung mit Leuten, die ich nicht so oft sehe. Dabei bin ich verpflichtet fröhlich zu sein. Klar kann das Hektik erzeugen. Auch die Betriebe stehen unter Druck, wenn sich das Jahr dem Ende zu neigt. Jahresabschlüsse, Inventuren und Weihnachtsfeiern klopfen an. Von besinnlicher Zeit ist wenig zu spüren.
Generell stehen Erwachsene zur Weihnachtszeit mehr unter Stress als Kinder. Kinder haben positive Emotionen, sie haben weniger um die Ohren, sie malen vielleicht ein Bild für die Mama und ein Bild für den Papa oder im Kindergarten basteln sie etwas. Kinder empfinden einen positiven Stress, weil alle so aufgeregt sind. Für Kinder ist Weihnachten, wenn es richtig abläuft, ein schönes Fest.
Patentrezept gegen den Stress?
Den gibt es leider nicht. Zu individuell unterschiedlich und mannigfaltig drückt er sich aus. Das Beste ist, erst gar nicht in sein Teufelsrad zu geraten. Jeder sollte auf seine Frühwarnungen hören. Der Körper reagiert beispielsweise mit Magen-Darm-Beschwerden oder Bauchweh auf Stress. Natürlich gibt es Situation, wo Achtsamkeitsregeln nicht mehr helfen, wenn Menschen sich in Situation befinden, wo selbst Therapeuten nicht wissen, wo sie ansetzen sollen. Das ist z.B. bei persönlichen Schicksalen, welche die Existenz gefährden, der Fall.
Prinzipiell hilft es, wenn ich auf mich schaue und den Stress selber erkenne. Wenn ich den Schritt zurück nicht schaffe und ihm nicht entfliehen kann, suche ich dann Rettung in der inflationären Ratgeberkultur? Da ist es besser, wenn ich mich an mein nahes Umfeld wende. Hilfe finde ich dann allerdings nur, wenn mich mein Partner unterstützt, indem er mir Tätigkeiten abnimmt und mir nicht meinen Stress unter die Nase reibt.
Nein sagen tut gut
Strukturieren ist ein gutes Rezept gegen den Stress. Wenn ich meine Dinge frühzeitig plane und bald erledige, dann verhindere ich hektische Situationen. Dann gehe ich nicht am 8. Dezember Weihnachtsgeschenke kaufen, sondern schließe dieses Projekt bereits im November ab. Auch Gastronomen und Verkäufer können sich auf den 8. Dezember, einem definitiv stressigen Tag, vorbereiten, indem sie am Tag davor früh schlafen gehen und mit ihrer Energie haushalten. Und überhaupt sind meine eigenen Ressourcen das höchste Gut. Wenn mir etwas zu stressig scheint, dann sage ich Nein. Und „Nein sagen“ gibt Kraft. Wenn ich keine Kraft habe und selber nicht funktioniere, dann hat niemand etwas davon. Natürlich ist damit nicht das Einigeln gemeint. Das Aufrechterhalten der sozialen Kontakte ist ein Teil davon. Aber ich umgebe mich mit Menschen, die mir gut tun und die ich mag: keinesfalls mit Energievampiren.
Von der Kunst des Aufschiebens?
Verursacht Aufschieben, das Prokrastinieren, Stress? Wiederum kommt hier der Mensch als Individuum ins Spiel. Es ist typabhängig und eine Charaktersache. Ich lerne einen Tag vor der Prüfung, 24 Stunden am Stück und das Energiegetränk ist mein bester Lernkumpane. Ich plane meine Hochzeit in zwei Tagen. Klar stehe ich gerade unter Druck. Diesen suche ich aber, damit ich liefere. Er tut mir gut und ich „performe.“ Den Rest der Zeit bin ich gechillt und entspannt. Aufschieben ist also, wenn man immer aufschiebt, nicht negativ, weil ich mich unter Stress setze, damit ich unter Stress meine Leistung bringe. Das ist nicht paradox, sondern gesunder Eustress. Übel wird es, wenn ich unter permanentem Stress leide, der dauerhaft über Jahrzehnte mein Leben bestimmt.
Weniger Stress durch gemeinsames Kochen?
Kommt darauf an, wie ich es mache und was ich mir erwarte. Gemeinsames Kochen ist in der Tat wunderschön und kann sehr entspannen, wenn jeder Beteiligte seine Ansprüche zurückschraubt. Wenn ich die Kartoffel schäle, dann mache ich das auf meine Art. Wenn die Kinder den Tisch decken, dann so, wie es ihnen gefällt. Jeder kann in seinem Element sein. Ansonsten kommt es zu Reibungen.
Das Kochen soll als ganzheitlicher Ansatz verstanden werden. Ich gehe mit meinen Kindern einkaufen, damit sie ein Gefühl für Lebensmittel bekommen: am besten auf Bauernmärkte, damit sie sehen, dass die Karotte auch aus Grünzeug besteht. Ich koche gemeinsam mit den Kindern, wobei jeder seine Rolle innehat. Zu Weihnachten schmückt die Familie den Baum. Es wird gemeinsam gegessen und gemeinsam abgeräumt. Nicht nur das Essen ist ein Ritual, sondern sein ganzer Entstehungsprozess.
Weihnachten ist die ideale Gelegenheit, um Kochen in das Familienfest zu integrieren und als gemeinsames Erlebnis zu ritualisieren. Es kann bestimmt nicht Teil des Alltags werden, aber es soll Teil des Wochenendes werden. Ein Zeichen der Entschleunigung, indem Essen als Aufhänger dient und ich mich mit Menschen umgebe, die ich liebe. Zumindest in dieser Zeit ist jeglicher Stress in weiter Ferne.