Alkoholprobleme + Pandemie = verheerend
Peter M., 54 Jahre alt, geboren im Burgenland, seit 10 Jahren geschieden, Kontakt zu den erwachsenen Kindern nur sporadisch, im Tourismus tätig, derzeit arbeitslos.
So könnte ein typischer Lebenslauf eines Patienten der Station B4 für Alkohol- und Medikamentenentwöhnung am LKH Hall aussehen. Silvio Tscheinig, seit Anfang des Jahres Leitender Oberarzt der Station, berichtet, dass sich die Situation für alkoholkranke Männer seit Beginn der Pandemie zugespitzt hat:
Wie wirkt sich die Corona Pandemie auf Männer mit Alkoholproblemen aus?
Die Pandemie ist für Alkoholkranke in zweierlei Hinsicht verheerend. Viele Männer, die schon vorher eine Tendenz zum Alkoholmissbrauch hatten, sind durch den sozialen Rückzug, den Verlust der Arbeit oder die fehlende Möglichkeit zur Kompensation durch Freizeitaktivitäten in die Sucht abgerutscht.
Bei jenen, die vorher schon alkoholkrank waren, aber noch einen funktionierenden Alltag hatten, reichte oft ein Faktor wie zum Beispiel ein Jobverlust, um gänzlich die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren.
Deutlich öfter als vor der Pandemie seien die Patienten der B4 auch von Obdachlosigkeit bedroht, denn Angestellte im Tourismus sind oft in Dienstwohnungen untergerbacht, die sie mit dem Job verlieren.
Ist der Stress, den die Pandemie erzeugt, ein Auslöser für die Sucht?
Betroffene versuchen mit Alkohol meist Druck zu kompensieren – in der Familie, im Job oder finanziell. Und davon gibt es seit Pandemiebeginn reichlich. Kurzarbeit und Entlassung, Quarantäne, Homeschooling, Angst vor einer Erkrankung oder Schließung von Sportstätten sind nur einige der Beispiele, die Druck und Stress erzeugen. Die Pandemie hat die Gefährdung von Männern mit Alkoholproblemen eindeutig verstärkt.
Wie ist der Ablauf, wenn ein Patient zu Ihnen kommt?
Ist ein Patient soweit, dass er mit seiner Erkrankung ins LKH Hall kommt, beginnt die Behandlung. Diese gestalten wir für jeden Patienten individuell, denn jeder bringt andere Voraussetzungen mit. Bei den meisten ist anfangs eine körperliche Entgiftung notwendig. Diese dauert ungefähr zwei Wochen und findet auf einer akutpsychiatrischen Station des LKH Hall statt. Sobald diese Phase der körperlichen Therapie abgeschlossen ist, kommen die Patienten für sechs Wochen auf die B4 Station.
Die Therapien während des Aufenthaltes auf der B4 sind sehr vielfältig. Psychotherapie, Ergotherapie, Kognitives Training, Entspannungskurse oder Heilgymnastik sind nur einige der Maßnahmen. Unser interdisziplinäres Team stellt für und mit jedem Patienten ein individuelles Programm zusammen und begleitet ihn während des Aufenthaltes.
Wo liegen die Ziele der Behandlung auf der Entwöhnungsstation?
Eines unserer Hauptziele ist es, im geschützten Rahmen der Station ein Problembewusstsein zu entwickeln. Männer tun sich grundsätzlich schwerer, über Emotionen und Probleme zu sprechen und vor allem Schwäche zuzugeben, auch wenn sie in großer Not sind. Diese Tatsache hängt unmittelbar mit der Entwicklung der Männerrolle in unserer Gesellschaft zusammen. Trinken wird vor allem in der Jugend als Stärke und Teil der Männlichkeit erlebt. Dies gilt aber nur, solange es als soziale Fähigkeit wahrgenommen wird. Als Alkoholiker bist du in der Gesellschaft „unten durch“ und die Sucht wird als Versagen erlebt. Plötzlich wird aus der Männlichkeit eine Schwäche, was bei vielen eine große Scham erzeugt.
Kann jeder Patient mit einem Alkoholproblem ins Krankenhaus kommen?
Jeder Patient mit einem Alkoholproblem, der Hilfe möchte, erhält diese von uns. Allerdings nicht sofort, wenn es kein akuter Notfall ist. Das ist einfach nicht möglich. Jeder kann sich telefonisch bei uns melden (050504-88140). Wir bieten immer mittwochs Vorbesprechungen an, bei denen wir dann gemeinsam mit dem Patienten das beste Vorgehen besprechen. Die Erfahrung zeigt, dass der Patient ausreichende Eigenmotivation mitbringen muss. Es reicht nicht, wenn ein Angehöriger eine Therapie für den Betroffenen „organisieren“ möchte.
Gibt es oft Rückfälle in der Therapie?
Rückschläge in der Therapie gehören dazu. Nach einem Rückfall ist die Scham oft besonders groß. Aber es bekommt jeder weiterhin Hilfe! Wenn ein Patient eine erfolgreiche Entwöhnung bei uns hinter sich hat, kann er allerdings erst frühestens nach einem Jahr wieder zu uns kommen.
Wie geht es nach dem stationären Aufenthalt weiter?
Wir suchen gemeinsam mit jedem Patienten eine gute Strategie für den Anschluss an den stationären Aufenthalt. Das kann eine Nachbetreuung bei psychosozialen Einrichtungen (PSP, pro mente), der Suchthilfe Tirol, niedergelassenen Kollegen sein, ambulante Termine, ein Aufenthalt in einer Langzeitentwöhnungseinrichtung oder die Aufnahme in eine therapeutische Wohngemeinschaft. Wir arbeiten eng mit Vereinen wie Emmaus oder Caravan zusammen, um unsere Patienten wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen und in die Gesellschaft zu reintegrieren.
Gibt es eine Möglichkeit zur Selbsteinschätzung?
Der sogenannte CAGE-Test gibt eine Hilfestellung zur Einschätzung des persönlichen Alkoholkonsums. Bei zwei oder mehr Ja-Antworten ist Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit wahrscheinlich. Um diese festzustellen, bedarf allerdings weiterer medizinischer Untersuchungen.
CAGE-Test:
- Cut down drinking (Reduzierung)
Haben Sie jemals daran gedacht, weniger zu trinken? - Annoying (Verärgerung)
Haben Sie sich schon mal über Kritik an Ihrem Trinkverhalten geärgert? - Guilty (Schuldgefühle)
Haben Sie sich jemals wegen Ihres Trinkens schuldig gefühlt? - Eye opener (Muntermacher)
Haben Sie jemals morgens zuerst Alkohol getrunken, um sich nervlich zu stabilisieren oder den Start in den Tag zu erleichtern?
Für Fragen zum Thema Alkoholkrankheit steht das Team der B4 am LKH Hall gerne zur Verfügung: Tel.: 050504-88140
Vielen Dank für das Gespräch!
Bilder: Adobestock